Von einem Maler ohne Gemälde und ohne Mäzen

EMMENDINGEN. Die ganze Vielfalt und Farbenpracht des Frühbarock breitete Tilman Röhrig am Dienstagabend vor fast 150 Besuchern im Bürgersaal des Alten Rathauses aus. Der vielfach ausgezeichnete Autor zahlreicher Jugend- und opulenter historischer Romane stellte sein neues Buch "Caravaggios Geheimnis" vor.

Oder, wie er es ausdrückte, er machte die Besucher mit den wichtigsten Personen des Buches bekannt und das auf seine ganz eigene, höchst unterhaltsame und packende Art. "Lesung" kennzeichnet das, was der nahe Köln lebende Autor bietet, nur unzureichend. Mit großen Gesten unterstreicht er das dramatische Geschehen. Doch Röhrig spielt auch die Details. Er greift nach seinem Wasserglas, wenn sein Maler den Becher Wein ergreift und verlegen hin- und her rückt, und tut das ebenso. Oder er reißt die Jacke auf, um zu zeigen, wo Caravaggios Peiniger den Knüppel verborgen haben. Er lebt mit seinen Figuren, das spürt man.

Vielleicht liegt es daran, wie der 64-Jährige schreibt; auch das verriet er. Mehr als zwei Jahre hat er vorgearbeitet, viele Monate recherchiert, in Archiven und an den Schauplätzen: Mailand, wo Michelangelo Merisi da Caravaggio gelernt hat; Caravaggio, wo er 1571 geboren wurde; Rom, Palermo, Malta, Neapel …

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Doch Röhrig geht noch weiter: Hatte er für seinen zuletzt erschienenen historischen Roman "Riemenschneider" Steinhauerei und Holzschnitzen gelernt, so hat er sich jetzt intensiv mit der Malerei beschäftigt, wie er erzählt. Und zwar mit der Technik, wie sie zu Zeiten seines Protagonisten üblich war: Farbe musste da selbst gemischt werden, die Bestandteile wurden mit dem Mörser zerstoßen. Mit Öl und Eiweiß habe er gearbeitet, sich schließlich selbst vor eine Leinwand gestellt und gemalt, beschreibt Röhrig – nicht um große Kunst zu schaffen, sondern um ein Gespür zu bekommen für das Sich-Hineinversenken in das Malen, um die Leidenschaft zu erahnen, die dieses Malergenie aus dem 16. Jahrhundert angetrieben haben muss. Das ist ihm offenkundig gelungen, denn Tilman Röhrig weiß diese – ja, man möchte fast sagen: Besessenheit – hervorragend zu vermitteln.

Zugleich schafft er es, und dies nicht nur mit den für die Lesung ausgesuchten Szenen, sofort Sympathie zu schaffen für den ungebärdigen Jungen, der ein genialer Maler wird. Es ist kein einfacher Weg, vieles muss der Lehrling erdulden, muss später seinen Lebensunterhalt mit dem Malen von Heiligenbildchen bestreiten und mit der ungeliebten und an Ausbeuterei grenzenden Arbeit für verschiedene Ateliers. Lange Zeit ist Michel, wie Röhrig ihn liebevoll nennt, der Maler ohne Gemälde und, was damals noch viel schlimmer war, ohne Mäzen.

Michel bewältigt diese Hürden und ist doch schutzlos den Übergriffen seiner Feinde ausgesetzt, fühlt sich ständig verfolgt, trinkt … Nur seine Jugendliebe Paola hält zu ihm. Gemeinsam erleben und feiern die beiden schließlich den Durchbruch – und lernen die Schattenseiten des Ruhmes kennen.

Eingebettet ist diese spannende und fantasiereiche Geschichte in eine Zeit, in der es einfache Menschen gerade nicht einfach hatten, Grausamkeiten an der Tagesordnung waren. Röhrig las die Stelle vom "christlichen" Zwangsgottesdienst für die Juden, die Michels ohnmächtige Wut hervorruft und dem Zuhörer einen Schauer über den Rücken jagt.

Auch sonst schreibt er von genügend Fallstricken und Ungerechtigkeiten, die die Mär von der guten alten Zeit als eine solche entlarven. Kritik war nur in Nuancen und Bildern möglich, die aber damals jeder verstand.

Zurück ins 20.Jahrhundert: Fast auf den Tag genau vor 40 Jahren raubten Unbekannte das Caravaggio-Gemälde "Nativià" aus einer Kirche in Palermo. Geklärt ist dieser Kunstraub bis heute nicht, es heißt, dass die Mafia ihre Hände im Spiel hatte, erzählt Röhrig, der diesen ungewöhnlichen Kunstraub (mit einem Dreirad!) in seinen facettenreichen Roman einbettet.

Ute Schulz-Jacob, Chefin der Buchhandlung Sillmann, zu deren 100. Geburtstag die Lesung stattfand, gratulierte Röhrig zum "silbernen Jubiläum" in Emmendingen (siehe BZ von Mittwoch): Der Autor kommt nämlich seit 25 Jahren zu ihr in die Stadt und tut dies gern, wie er den Zuhörern verriet – und man deutlich merkte. Lesung und Interview mit Tilman Röhrig hat das SWR-Fernsehen aufgezeichnet für "Landesart" am Sa., 17.10., 19.15 Uhr .

Autor: Sylvia-Karina Jahn