Die Schatten von Sherwood

in dem auch burleske Szenen nicht fehlen. Es ist die Geschichte der Freundschaft mit Little John, der Fürsorge für dessen Schützling Marian, die Geschichte des Kampfes gegen Unterdrückung und Willkür des normannischen Adels im mittelalterlichen England.


Auszug aus dem Buch


Aus der Tiefe hörten sie dumpfes Tosen und Brausen. Gut eine Stunde dauerte der Abstieg. Ganz in ihrer Nähe stürzte sich Wasser von hoch oben in einen See, der goss es gurgelnd in ein breites Flussbett. Wasserstaub flimmerte, webte buntschillernde Schleier über dem Tal.
Vor der letzten Biegung zog John das Mädchen in ein Gebüsch. Geduckt schoben sie sich weiter und spähten durch die Blätter. Der Pfad endete am Fluss. Ein dicker, langer Baumstamm führte hinüber. An seiner Oberseite waren breite Kerben wie Tritte eingehauen. Unter ihm her strömte, sprang und strudelte das Wasser. John kratzte sich im Bart. Wenn kaum jemand den Pfad benutzt, warum war der Baum zum Steg hergerichtet?
„Weiß nicht, Kleines“, raunte er. Auf der anderen Seite blieb das Gelände noch ein Stück weit eben, vorn am Wasser dicht bestanden mit Sträuchern. Dahinter reckten sich mächtige Eichen und Buchen zur Anhöhe hinauf.
Gleich nach dem Übergang verlor sich der Pfad sofort im Dickicht. Der Jäger spürte das Unbehagen bis in den Nacken. Entschlossen legte er Proviantbeutel und Wassersack ab. „Warte hier“, flüsterte er. „Rühr dich nicht! Ich hole dich gleich." Marian nickte und kauerte sich auf den weichen Boden.
Mit dem Kampfstock in der Faust kehrte er zur Stelle, an der er den Pfad verlassen hatte, zurück.
Ein Lied brummend schritt er um die Biegung. Wie ein durstiger Wanderer kniete sich der Hüne ans Wasser, trank und kühlte das bärtige Gesicht, aus den Augenwinkeln überprüfte er das gegenüberliegende Ufer. Nichts. Nirgendwo bewegten sich Zweige schneller, kein Blatt drehte sich anders als die andern.
Das Unbehagen blieb.
„Auch gut“, murmelte er und stieg über die zu Stufen geschichteten Steine auf den Baumsteg. Die Tritte waren in Schrittweite eines normal großen Mannes eingehauen worden. Für John lagen sie viel zu dicht beieinander. Fast hatte er die Mitte erreicht.
„He! Weg da!“
John fuhr zusammen. Nur einen Moment hatte er auf seine Füße geachtet.
Gerade war der Steg noch leer gewesen. Wie aus dem Nichts war der Fremde aufgetaucht, kam ihm entgegen, war beinah auf zehn Schritt herangekommen. Jetzt blieb er, den linken Fuß vorgesetzt, stehen. „Bist du taub? Geh zurück ! »
Fast bis zum Hals reicht er mir. Kraft hat er. Angespannt schätzte John die Gefahr ab. Der Köcher sitzt hoch und leicht schräg am Rücken, die Pfeilschäfte sind schnell griffbereit wie nur bei guten Schützen. Aber den Langbogen trägt er noch geschultert. John atmete aus. Bis du den gepackt hast, hab ich dich. Er nahm sich Zeit. Alles grün an dem Kerl, bis auf Gürtel, Jagdhorn und Dolch. Die Beinkleider, das Wams, keine Lumpen und alles dunkelgrün. Vielleicht habe ich dich deshalb nicht entdeckt? Selbst der kurze Überwurf war grün, die Kapuze hatte er tief in die Stirn gezogen. Von den Augen sah John nichts, nur die schmale Nase, Mund und Kinn. Kein Bart. Ein glattes Gesicht. Ein Feiner bist du also.
„Wie lange soll ich noch warten?“
Diesen Ton kannte der Hüne. Er grinste als Antwort und spuckte ins Wasser. Hier hat mir keiner zu befehlen. Jung ist er nicht, aber was für ein loses Maul der hat!
„Nimm Vernunft an, Zwerg, und verschwinde von der Brücke!“ Der Fremde sprach jetzt wie zu einem Kind. „Muss ich mich denn erst über dich ärgern“ Wut stieg in John auf. „“Du aufgeblasener Frosch“, knurrte er. „Das höre ich gern. Ich fürchtete schon, du wärst stumm.“
Marian! Sie wartet hinter mir. Egal, was geschieht, der Kerl darf nicht auf die andere Seite. „Schluss mit dem Geschwätz!“ John packte den Kampfstock fester und duckte sich zum Angriff.
Ein Schulterschlenker des Fremden, der Bogen sprang in die Linke, seine Rechte schnellte hoch, griff einen Pfeil, aus der Bewegung saß der gefiederte Schaft auf der Sehne, schon spannte er sie bis zum Ohr. „Wag es! Und du bist tot.“
John war erst zwei Schritte vorwärtsgekommen, er stockte und schüttelte ungläubig den Kopf. Niemals zuvor hatte er bei einem Schützen solche Schnelligkeit erlebt. „Schon recht.“ Betont lahm richtete er den Oberkörper hoch und stemmte den Kampfstock vor sich hin. „Zurück! Fremde dulde ich nicht auf meinem Gebiet.“ Scharf und schneidend wurde die Stimme. „Gehe rückwärts. Und dann verschwinde aus der Schlucht! Ehe ich`s mir anders überlege.“
John rührte sich nicht. Du bist kein Graf, auch keiner von den königlichen Förstern. Schweißperlen sprangen dem Hünen auf die Stirn. Gestern hieß es: raus aus der Stadt! Und heute sogar: runter vom Weg! Marian und ich, wir sind keine Straßenköter. Uns kann nicht jeder Hergelaufene einen Tritt geben.
Doch der Angeber war im Vorteil. John musste Zeit gewinnen, musste irgendwie den Kerl aufhalten. Er zwang sich zu einem Grinsen. „Ich habe bloß meinen Stock. Und du?“ Er spuckte dem Grünen vor die Füße. „Willst mich von der Brücke schießen, nur weil ich rüber will. Ein Feigling bist du. Ohne deinen Bogen bist du nichts wert.“ Vergnügt lachte der Fremde, ließ aber die Sehne bis zum Ohr gespannt. „Witz hat der Zwerg. Das gefällt mir.“ John schnaubte, wieder packte er den Stock fester.
„Aber, aber. Das würde ich nicht tun.“ Der Grüne schnalzte mit der Zunge. „Feigling? Ungestraft hat mich noch niemand so genannt.“
„Bist mir auch noch nie begegnet.“
„Schluss jetzt. Ich könnte dir den Pfeil durchs Herz schießen wie einem blöden Ochsen. Einfach so. Aber das macht keinen Spaß. Viel zu lange gebe ich mich schon mit dir ab. Deshalb sollst du deine Chance haben.“ Er senkte die Waffe. „Rühr dich nicht vom Fleck! Ich schneide mir eine junge Eiche. Dann komme ich ohne meinen Bogen wieder. Und bring dir bei, wie der Bär tanzt.“ Der Grüne lachte wieder. „Ein faires Spiel“
„Das ist kein Spaß“, knurrte John.
„Ich bestimme hier die Regeln!“ herrschte ihn der Fremde an. „Und wehe dir, wenn du sie nicht genau befolgst.“
John nickte. Den Schädel werde ich dir einschlagen, dachte er.
Leichtfüßig wandte sich der Grüne um, lief zurück, sprang mit einem riesigen Satz vom Baumsteg und war im Gehölz verschwunden.
Schnell ist der wie ein Marder. John wischte die Stirn. „Beim heiligen Dunstan. Wäre ich doch auf der großen Straße geblieben.“ Den Kampf fürchtete er nicht, aber er hatte Marian unnötig in Gefahr gebracht. Jetzt einfach zurück und mit ihr, so rasch es ging, aus diesem verdammten Tal verschwinden.? Warum sich erst mit dem Kerl prügeln? Nein, wenn ich mich umdrehe, hab ich einen Pfeil im Rücken.
„He, Zwerg!“ Der Grüne kehrte zurück, ohne Bogen und Köcher, nur mit einem grob geglätteten Eichenstamm bewaffnet. Kampfbereit stülpte John die festgewebte Kapuze über den Kopf. Der Fremde sprang auf den Steg und kam näher, spielerisch ließ er den Stock wirbeln, warf ihn von einer Hand in die andere. „Fällst du ins Wasser, Zwerg, und bist nicht tot, dann gebe ich dir Zeit zu verschwinden. Ich verspreche es, und ich halte mein Wort. „
Der Fremde war dicht genug herangekommen. „Halt`s Maul!“ John ließ ihm keine Zeit. Sein schwerer Stock zuckte wie ein Schlangenkopf vor und traf den Gegner an der Brust. Der Angeber taumelte. John drängte nach. Den ersten Hieb wehrte der Grüne ab. Der nächste aber durchbrach die Deckung. John nutzte jetzt beide Endstücke des armdicken Stammes. Hals, Kopf., Hals und wieder ein furchtbarer Stoß gegen das Herz. Der Fremde wurde von den Füßen gehoben und zurückgeschleudert, fand wieder keuchend seinen Stand auf dem Baumsteg. Das Wams war zerrissen. Unter der Kapuze quoll Blut hervor.
„Genug?“ John wog den Kampfstock in den Fäusten.
Der Grüne schüttelte benommen den Kopf. Blut lief ihm über die Wangen.
„Spring ins Wasser, und ich lasse ich leben!“ bot John an. „Darfst im Fluß weiter runterhüpfen wie`n Frosch. Bis ich dich nicht mehr sehe.“
Der Gegner hatte sich wieder gefasst. Mit einem Mal bog er den Kopf zur Seite, als wollte er herausfinden, was hinter dem Riesen geschah. „Das nenne ich Glück!“ keuchte er.
Marian! War sie aus dem Versteck gekommen? John blickte über die Schulter zurück. Der Moment genügte dem Grünen. Zwei Sprünge, er stieß das Ende des Stocks in eine Trittkerbe der Baumbrücke, stemmte sich hoch und flog, die Beine voran, wie ein Geschoß auf den Hünen zu. Beide Füße trafen den mächtigen Brustkorb. Die Wucht des Aufpralls brachte John ins Wanken, er stolperte, rücklings krachte er auf den Steg, rutschte, klammerte sich mit seinen Beinen fest, rutschte nicht ab, sofort hielt er den Kampfstock abwehrbereit quer vor dem Hals. Kein Angriff folgte. Nichts geschah. Wo war der Grüne? John setzte sich auf, stierte den Stamm entlang, fand den Gegner nicht. Dann sah er die Hände, gleich vor seinen Sandalen. Die Finger krallten sich in die Rinde. John zog seine Beine an. Auf den Knien kroch er näher und beugte den Kopf hinunter. Da hing der Fremde, ruderte mit den Füßen über dem Wasser. Die Kapuze war verrutscht. Aus dem blutverschmierten Gesicht blickten klare, graue Augen zu ihm hoch, sie zeigten nicht eine Spur von Angst.
„Lass los“, forderte John.
„Wenn ich wieder auf die Beine gekommen wäre“, stieß der Grüne zwischen den Zähnen hervor, „dann hätte ich dich jetzt, du Zwerg.“
„Immer noch das freche Maul?“ Der Hüne richtete sich zur vollen Größe auf. Von hoch oben starrte er auf den Gegner hinunter. „Lass los! Oder ich stopfe es dir für immer.“
„Ich hatte eben Pech. Aber sonst war es ein schönes Spiel, findest du nicht?“
John begriff den Fremden nicht. Ernst war es, blutiger Ernst. Und dieser Frosch redete einfach so daher. „Zum letzten Mal. Lass los!“
Drohend hob er den Kampfstock, als wollte er Butter im Fass stoßen.
„Du tötest keinen Wehrlosen.“ Kühl und sicher blickten die grauen Augen.
Recht hat er, ärgerte sich John, noch mehr ärgerte es ihn, dass der Frosch es auch wusste. „Bist es mir eben nicht wert. Aber das, das hast du verdient.“ Langsam setzte er eine Sandale nach der anderen auf der Ferse vor und rollte die Ledersohlen über die verkrallten Finger.
„Verdammter Bastard!“ Mit diesem Fluch stürzte der Grüne ins strudelnde Wasser. John nickte zufrieden.
Der Fremde wurde ein Stück mitgerissen, gelangte aus der Strömung ins seichtere Wasser. Von Stein zu Stein hangelte er auf das Ufer zu. John hetzte über die Baumbrücke, sprang und erwartete den Gegner stoßbereit.
„Ich gebe auf. Du hast gewonnen.“ Lachend hob er die Hände. „Ich ergebe mich.“
John schwieg.
„Du bist auf der anderen Seite. Was willst du mehr?“
Drüben im Versteck lag Marian. Der Kerl muss stillhalten, bis ich mit dem Mädchen weg bin. „Bleib im Wasser. Und halt`s Maul!“ fauchte John. Was jetzt? Das beste ist, ich schlag ihm doch den Schädel ein. Gleich verwarf er den Gedanken wieder. Der Grüne besaß keine Waffe mehr.
„He! Du Riese? Bis du es dir überlegt hast, darf ich dir wenigstens etwas auf meinem Jagdhorn vorblasen.“
„Blas, soviel du willst! Hauptsache, du hältst dein Maul.“
Der Fremde setzte das Horn an die Lippen. Ein langgezogener heller Ton, zwei schnelle, gefolgt von einem langgezogenen tiefen Ton hallten durchs Tal, kamen als Echo zurück.
Kaum war es verklungen, da schlugen Pfeile rechts und links von John in den Boden. „Eine Falle!“ keuchte er und fuhr herum.
Zwei Männer mit erhobenem Bogen lösten sich aus den Ufersträuchern, grün gekleidet wie der Fremde. Rufe! John riss den Kopf zurück. Aus den nahen Eichen und Buchen kamen jetzt vier grüne Gestalten auf ihn zugeflogen, sie hielten sich an langen Stricken, landeten zugleich am Ufer, schon zogen sie die gefiederten Pfeilschäfte bis zum Ohr.