Der Maler und das reine Blau des Himmels

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Piper-Verlag



Interview mit Tilman Röhrig über Franz Marc

Was für ein Mensch war Franz Marc?
Ich mag ihn. Wenn wir ihm heute begegnen würden: ein ganz normaler junger Mann, eher sympathisch. Das Auffälligste war sicher seine tief verwurzelte Liebe zu den Bergen seiner Heimat. Fotos zeigen ihn oft als einen großgewachsenen Bayern mit Lederhose. Die Staffelalm auf dem Rabenkopf war seine Zuflucht, sein Herzzuhause. Franz war ein sportlicher Typ, er wanderte gern. Nicht selten fühlte sich seine Frau Maria bei den Bergausflügen etwas überfordert.

Seine Freunde und Familie beschrieben ihn als freundlichen, gutaussehenden jungen Mann, der gern feierte, gut zuhören konnte. Sensibel und immer in irgendwen verliebt, manchmal in drei Frauen gleichzeitig, bis er zu seiner großen Liebe Maria fand. Sehr entscheidungsfreudig war er nicht, auch nicht immer lebenstüchtig. Nur gut, dass Maria an seiner Seite stand.

Franz Marc war ein Kind seiner Zeit, ein junger, nach neuen Wegen der Kunst suchender Maler. Nietzsche hatte ihn schon als Jugendlichen beeindruckt. Den Irrweg, in einem Krieg in Europa 1914 eine reinigende Kraft für Neues zu sehen, erkannte er erst spät und musste ihn bitter bezahlen. Franz war Europäer, als Mensch und auch als Künstler. Er plädierte immer für eine offene Auseinandersetzung mit Anregungen aus den Werken der russischen, französischen, aber auch der italienischen Moderne. Jegliche Art von Nationalismus war ihm fremd.

Wie haben Sie sich diesem Künstler angenähert, um über ihn schreiben zu können?
Ich lese immer Biografien, Briefe, Tagebücher meiner Protagonisten und ihrer Freunde. Außerdem recherchiere ich die Lebensumstände, Technik, Gedankenwelt, Politik und Gesellschaft ihrer Zeit. Franz Marc ist Maler, von ihm stehen noch zusätzlich alle Skizzenbücher zur Verfügung, sodass beinah Monat für Monat nachzuvollziehen ist, womit er sich beschäftigt hat.

Vor allem seine Bilder erzählen mir so viel über ihn, diese wunderbar farbigen Gemälde, die uns heute noch so sehr berühren. Ich male manchmal auch und stand fasziniert vor dem Schaffensweg dieses jungen Künstlers, der aus den Anregungen der Moderne einen eigenen Weg kreierte. Ich studierte seinen Strich, seine Farben und war jedes Mal aufs Neue begeistert.

Was war das überraschendste Ergebnis Ihrer Recherchen in Sachen Franz Marc?
Mich hat die Beziehung zu seiner späteren Frau Maria sehr berührt. Nicht nur, weil sich da eine große Liebe entwickelte, sondern weil er sie zu fördern suchte, ihr Raum für Emanzipation ließ. Das war in der damaligen Zeit nicht selbstverständlich.

Und dann … Es hat lange gedauert, bis ich mit dem Soldaten und Offizier Franz Marc umgehen konnte, der so gar nicht zu dem sensiblen Maler zu passen scheint. Überraschend waren für mich aber auch manche seiner Bilder aus der späten Phase, in der er schon fast abstrakt malt, mit Formen und Segmenten spielt. Das hatte ich nicht erwartet.

Was bedeuten die berühmten blauen Pferde für Franz Marc – und warum überhaupt Pferde? Und warum in Blau?
Tiere, nicht nur Pferde, malte Franz Marc lieber als Menschen. Sie standen bei ihm für die Reinheit, etwas Geistiges, Neues, das er suchte. Zu Pferden hatte er eine besondere Beziehung. Er malte nicht nur Pferde, sondern schaffte es, uns durch die Augen der Pferde auf die Landschaft schauen zu lassen. Tiere finden sich bis in seine letzten Bilder und Zeichnungen, als er sich mehr und mehr dem
abstrakten Spiel mit Formen und Farben zuwendete. Sie waren sein Ausdrucksmittel.

Blau entdeckte er, als er begann, die Farben zu benutzen, die er fühlte. Ein Pferd ist nicht blau. Marc löste sich vom Gegenständlichen. Dazu brauchte er reine Farben. So wie Gelb für ihn das weibliche Prinzip darstellte, sanft, heiter und sinnlich, symbolisierte Blau für ihn das Männliche, Herbe und Geistige. Das herauszuarbeiten, war ihm wichtiger, als ein einfaches Abbild der Natur zu schaffen. Damit durchbrach er die Erwartungen der zeitgenössischen Betrachter, löste Kunstskandale aus. Kaiser Wilhelm hatte mal angesichts moderner Bilder ausgerufen: „Nun nicht auch noch lila Schweine!“

Mit August Macke verband Franz Marc eine enge Künstlerfreundschaft. Wie kam diese zustande?
Diese Freundschaft war wirklich ungewöhnlich, ein Geschenk für beide. August Macke hat in München, unter dem Tisch eines Galeristen versteckt, zufällig einige Lithographien von dem zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Franz Marc entdeckt und spontan und unbekümmert, wie er war, einfach den Künstler zuhause in seinem Atelier überfallen. Beide fühlten schon bei der ersten Begegnung eine Seelenverwandtschaft. Auch ihre Frauen fanden sofort zueinander.

Der Briefwechsel zwischen den Paaren ist wirklich lesenswert, Dokument einer wunderbaren Freundschaft. Sie hielten zusammen, ergänzten und förderten sich, selbst existenzielle Differenzen oder die übliche Konkurrenz unter Künstlern konnten sie nicht trennen. Sie arbeiteten viel zusammen, malten sogar gemeinsam im Atelier des Freundes ein großes Bild. Das berühmte Wandgemälde Paradies. August Mackes Soldatentod im Oktober 1914 hinterließ einen am Boden zerstörten Franz Marc.

Was machte die Kunst der „Blaue Reiter“-Künstlergemeinschaft so besonders, ja neu in ihrer Zeit?
Das Besondere ist, dass es eine Künstlerbewegung der Moderne aus vielen Ländern Europas war. Offen, international, ohne programmatische oder künstlerische Vorgaben. Moderne Musik, Malerei, Theater lösten damals Skandale aus, führten zu Stellungnahmen des Kaisers, sogar in Reichstagsdebatten versuchten Gegner, diese Entwicklung auszubremsen.

Der „Blaue Reiter“ war von Franz Marc, Wassily Kandinsky und ihren Mitstreitern vornehmlich als Almanach gedacht, als ein jährliches Forum der Moderne. Es war der Versuch, die neuen Künstler mit ihren Werken zu zeigen und – noch wichtiger – sie selbst zu Wort kommen zu lassen. Wenn man bedenkt, dass der Ankauf eines Van Gogh für das Bremer Museum einen nationalen Kunstskandal auslöste, in dem nationalistische deutsche Künstler unversöhnlich den Vertretern der europäischen Moderne, unter ihnen als Wortführer Franz Marc, gegenüberstanden, wird deutlich, was ein Almanach oder Ausstellungsmöglichkeiten für die modernen Künstler und Künstlerinnen damals bedeuteten.

Franz Marc steht am Anfang Ihres Romans zwischen drei Frauen. Wie kam es dazu?
Das ist einfach zu beantworten: Er sah gut aus, amüsierte sich viel und hat sicherlich nicht ungern damals angesagte Formen von freier Liebe oder Körperkultur aufgenommen. Eine kleine Flucht aus der Bürgerlichkeit. Überlieferte Nacktaufnahmen belegen das. Dass er in Wahrheit meist recht hilflos zwischen den drei Frauen stand und hin und hergezogen wurde, zeugt von deren Stärke und seiner männlichen Schwäche.

Wie würden Sie Maria Franck, Marcs große Liebe und spätere Frau, charakterisieren?
Wenn ich ehrlich bin: An Maria habe ich während des Schreibens mein Herz verloren. Sie hatte es nicht leicht, kam aus gutbürgerlichem Hause und musste zunächst ihre Rolle als Geliebte ertragen, gemartert von Selbstzweifeln, ob sie überhaupt schön und begabt genug für ihren geliebten Franz war, enttäuscht von seinen vielen Eskapaden und Liebschaften. Sie wurde der Halt für ihn. Aus den Briefen wird deutlich, wie intensiv ihre Beziehung war. Sie hat leider ihre künstlerische Begabung wegen körperlicher Beschwerden nicht so entfalten können, wie sie es gewollt hätte.
Aber ohne sie wäre Franz Marc nicht der geworden, den wir heute kennen.