Übergebt sie den Flammen

Drei aufgerissene Mäuler, keine oder nur winzige Zähne, doch Stimmen, ein Dreiklang, wie ihn nicht gespießte Ferkel und die Katze, wenn man auf ihr kniet, gemeinsam fertigbrächten.
Wendel kroch auf dem Boden der Wohnstube, suchte unter dem Tisch, zwischen Truhe und Schrank nach dem entschwundenen Holzkreisel. Hinter ihr das Gebrüll von Lisel und Lenel, Irmgard unterstützte die Schwestern, quietschte aus reiner Lust.
Die drei Mädchen stemmten sich in ihre Lederleibchen, nur Träger und breite Bauchbänder, im Rücken ans Seil geknotet, die Enden waren am Pfosten zwischen Kammer und Stube in Eisenringe gehakt. Solange Wendel kochte, der Tiegel über dem Herdfeuer hing, und sie nicht Augen genug hatte, in dieser Zeit mussten die Mädchen ins Geschirr, die Leine erlaubte ihnen zu spielen, war kurz genug, um die Kleinen vor der Gefahr der Glut zu schützen. Beruhigt konnte Wendel die Arbeit im Haus erledigen, doch wehe, wenn das Spielzeug aus dem Sicheren Seilkreis rollte, Kinderungeheuer!
Endlich, hinter dem Schrank fand sie den vermissten Holzkreisel, sie erhob sich und hielt ihn wie ein Pfand hoch, 30 Finger reckten sich, sofort geriet das Geschrei zum Wettstreit, die pausbackige Irmel hatte sich auf den Bauch geworfen, stehen und ausdauernd zu brüllen war ihr zu unbequem.
Und hätte ich drei Kreisel, drei Bälle, drei kleine Hexenbesen, sie wären nicht genug. Das Spielzeug, mit dem die Schwester gerade spielte, nur das gefällt den anderen. Entschieden ging sie durch das Gezeter hindurch und ließ den Holzkegel vor dem Pfosten tanzen. Gierig fielen die beiden Großen über den Kreisel her. Zu spät, doch voll Eifer, kroch Irmel in den Kampf.
„Diese Weiberwirtschaft“, seufzte Wendel ergeben, „am Geschrei höre ich wenigstens, dass ihr gesund seid!“ und kehrte zum Tisch zurück, putzte Kohl und zerkleinerte Möhren. Von neuem stieg das Geheul. Wendel schaute sich nicht um, schabte mit dem Messer eine Möhre blank, teilte sie in zwei gleichgroße Stücke, wählte ein Herzblatt aus dem Kohl, gut bewaffnet trat sie dem höllischen Dreiklang entgegen und atmete tief ein, „Teufelssakramost und Heideblitz!“ Lang streckte Wendel ihren Töchtern die Zunge raus. Die Münder blieben offen, das Geheul war abgerissen, kein Erschrecken, helle Bewunderung malte die Gesichter, so viele Worte, so laut, das vermochte nur die Mutter.
„Jetzt ist Ruhe in der Kirche!“ Wendel reichte den Großen die Möhrenhälften, vor Irmel legte sie das Kohlblatt auf den Boden. „Raus mit euch.“ Sie befreite nur Lisabeth und Magdalene aus dem Lederleibchen, streifte ihnen wollene Hänger über und gab der Großen den Holzball. „Nimm deine Schwester und spielt in der Scheune, draußen ist es heute zu kalt. Nicht am Brunnen die Eiszapfen pflücken, hast du verstanden? Ihr geht in die Scheune.“ Eifrig nickte Lisel, und beide schlüpften aus der Stube. „Der Herr sei gepriesen!“ Friede war eingekehrt. Irmel lag auf dem Rücken, versuchte mit beiden Händen, das gelbweiße Herzblatt in den Mund zu schieben. Erleichtert warf Wendel das Gemüse in den Tiegel und rührte es in den brodelnden Sud.
Gebrüll vom Hof her! Die Kinder schrien in höchster Angst. Wendel stürzte zum Fenster, rieb das rauhe Glas. Mitten auf dem Platz stand ein Mönch, die Kapuze tief in die Stirn gezogen! „Oh Gott, hilf mir“, flehte sie.
Beide Mädchen drängten sich an das Scheunentor. Warum geht ihr nicht hinein? Das ist keiner aus Dorsten, die tragen braune Kutten, gleichgültig , jeder Mönch bedeutet Gefahr für uns, das Wissen meine Kinder. Dominikaner! Jetzt kannte sie die Reisetracht. Was will ein Dominikaner von uns?
Die Angstschreie der Mädchen gellten. Unbeweglich stand der Kuttenkittel da, blickte nicht auf. Wendel steckte das Messer in die Gürtelschnur und rannte. In der Haustür blieb sie stehen. „Verschwindet! Lasst meine Kinder in Ruhe! Lasst mich zufrieden, ich habe Euch nichts zu sagen. Runter von meinem Hof!“
Der Mönch rührte sich nicht von der Stelle, das Reisebündel fiel ihm aus der Hand.
„Geht sofort in die Scheune!“ befahl sie den Mädchen. Lisabeth öffnete einen Spalt, zog die Schwester hinter sich her, und knarrend schwang das Tor wieder zu. Erleichtert griff Wendel an. „Was wollt Ihr?“
Keine Antwort. Sie suchte nach dem Griff des Messer, umfasste ihn und ging los. Ihr Kutten habt mir genug genommen, wen wollt ihr jetzt? Nichts könnt ihr mir anhaben. Unsere Bibelstunden sind in Büderich geduldet, nur der Rat kann sie verbieten. Ihr schmutzigen Ordensschweine habt mir nichts zu befehlen. Kurz streifte ihr Blick die Wagnerei. Heute findest du niemanden!
Wendel war vor dem schweigsamen Mönch angelangt. „Sagt was Ihr müsst, dann verschwindet“, und voller Verachtung, „ehrwürdiger Vater!“
Er hielt den Kopf gesenkt. „Das bin ich nicht. Unser Vater ist im Himmel.“
„Was?“ Wie eine langsame Faust grub sich die Stimme ein, traf den Schutzmantel, unter dem Wendel ihren schmerz so mühsam verbarg und zerriss ihn. Wendel krümmte sich. Ich ertrage keinen Scherz. „Was?“ flüsterte sie.
„Unser Vater ist im Himmel.“ Er sprach leise, vorsichtig. Auf dem Weseler Markt, wir standen am Brunnen. Dieser Satz gehört uns. Nein, es ist Gaukelei, heimtückische Lüge. „Hebt den Kopf!“ Sie hielt das Messer in der Hand. „Macht schon!“
Leicht, kaum merklich bewegte sich die Kapuze. „Dies Gewand ist mein Schutz. Das Schaf trägt den Wolfspelz. Bitte, Wendel, mein Gesicht ist eine Fratze, grausamer als die eines Wolfs. Bitte , ich will dich nicht erschrecken.“
Das Messer fiel. „Johann!“ Ihre Stimme erstickte an dem Namen. Zu lange hatte sie ihn nur nach innen gerufen, er trieb die Angst, ihre Sehnsucht, zu lange hatte sie ihm den Namen nicht mehr geben dürfen. Gebückt ging sie näher, schob sich unter das Dach der Kapuze und hob die Augen, fand seinen Blick in dem Dunkel und wusste es. „Mein Johann.“ Ärgerlich versuchte sie die Tränen zu unterdrücken. „Du hast mich erschreckt, du verrückter Apostel“ Sie berührte das bärtige Kinn, schob behutsam sein Gesicht nach oben, ihre andere Hand streifte die Kutte zurück. Mit dem Licht schloss er die Lider. „Sieh mich an, Wendel.“
„Ich sehe nicht, solange du die Augen zumachst.“
„Sag es mir!“ forderte er.
Und Wendel fand die Narben, berührte die schorfen Wundränder an seinem Mund. „Das wird heilen, mein Johann, so etwas heilt.“ Aufschluchzend drückte sie ihn an sich.
Er ließ es geschehen. „Bin ich so sehr entstellt?“
„Ach, Johann!“ Wild zerrte sie an der Kutte. „Das Fleisch heilt bald. Wie tief müssen deine Wunden sein, da tief drinnen? Darum weine ich.“ Noch heftiger umschlang sie ihn., „Und ich weine, ich will weinen, endlich, weil es mir endlich gut ist!“ Johann presste den Mund an ihr Haar, verbarg sich an Wendels Schulter.
Die langen Monate waren zu Ende. Nicht nachholen will ich sie, dachte Wendel, beginnen, so bleiben und anfangen.
„Mutter?“
Die zaghafte Frage rief Wendel zurück, wie ertappt löste sie sich rasch. In der Nähe standen die beiden Mädchen und staunten.“ Deine Töchter“, seufzte sie lächelnd, fasste die Zöpfe mit einer Hand und drückte die Gesichter an ihren Schoß, mit der anderen schob sie Johann zum Haus. „Erst musst du den falschen Pelz ausziehen, sonst glauben sie mir nicht, dass du ihr Vater bist!“
Er hatte fast die Tür erreicht, als Wendel auflachte, ihm nachrief: “Dass du dich nicht erschreckst. In der Stube siehst du, was aus deinem Sohn geworden ist!“