Der Sonnenfürst

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Domradio Kultur am Sonntag

WDR5 Scala


Als er in einem Duell seinen engsten Freund verliert, sitzt der Stachel des Misstrauens tief. Denn seine Gegner haben ein tödliches Intrigenspiel begonnen. Nur zwei Menschen halten unbeirrbar zu ihm: der Hofzwerg Albert le Grand und die schöne Harfenspielerin Mechthild Brion …

Brühl, vor dem Kölntor, 1733: Verängstigt kauert Margaretha im Gebüsch. Vor ihren Augen wurde gerade ein adliger Kavalier heimtückisch ermordet, und die Gänsemagd ahnt, dass sie besser nichts gesehen hätte. Zumal der Tote der Favorit des Kurfürsten Clemens August war, den fortan tiefe Trauer und Rachegedanken plagen. Doch wer agiert so infam gegen ihn und seine Vertrauten? Als die Augenzeugin eine Anstellung am Bonner Hof findet, gerät sie in ein Netz aus Eitelkeiten, Raffgier und Intrigen, denen auch der Kurfürst hilflos ausgeliefert scheint. Will er seine Stellung und sein Reich schützen, muss er rasch gegen die verdeckten Widersacher vorgehen. Doch die Feinde im Rheinland wie auch in Bayern haben längst einen perfiden Plan ausgeheckt, um die Magd zum Schweigen zu bringen und den Sonnenfürsten zu stürzen.

Kapitel 1

Unmerklich öffnete der Zwerg den Vorhang einen Spalt. Kerzenlicht flackerte in den Wandspiegeln. Er nahm das Gesicht etwas zurück, senkte die Lider, kein Widerschein seiner Augen durfte ihn verraten. Die Kerzen auf den Leuchtern waren fast niedergebrannt.
Geruch nach Wachs, nach erloschenem Docht reizte, fest presste Albert die großen Nasenflügel zusammen. Nur keinen Laut. Erst als das Niesen ganz unterdrückt war, spähte der Bucklige wieder ins Vorzimmer zum Schlafgemach. Sein Herr lehnte im Sessel, den hellen Hausmantel vor der Brust nur lose gebunden, das Rüschenhemd nicht mehr hochgeschlossen. Über den Rand des Weinglases lächelte er seinen Besucher an. »Ich bin müde und doch nicht müde. Johann, lieber, lieber Freund. Wenigstens zwei Tage für uns …« Er nahm einen Schluck. »Jagen, Essen, etwas Musik. Seit Tagen sehne ich diesen Ausflug nach Brühl herbei.«
»Denke, das Wetter bleibt über die ganze Woche gut.« Johann Baptist von Roll schenkte sich aus der Karaffe nach, zu hastig, etwas vom schweren Roten schwappte ihm über den Handrücken. Für einen Moment starrte er auf die blutroten Spuren, dann wischte er sie mit einem Tuch weg. »Wünschte nur, wir wären wirklich allein.« »Ärgere dich nicht. Die Jagdgesellschaft ist klein, wir sind neun …« »Verzeiht, mein Fürst. Auf mindestens vier von den Herren könnte ich gut verzichten. Würde ihnen gern das Fell abziehen.« »Nicht Hasen, mein Johann. In Brühl jagen wir Reiher und die haben nun mal kein Fell.« Der Scherz erreichte den Freund nicht.
Clemens August sah die geballte Faust, das Zittern der breiten Schultern, sah in die funkelnden Augen. »Wie zornig du sein kannst. Ich wünschte, ich hätte etwas von deiner kraftvollen Energie.« Er räusperte sich, setzte den Pokal zurück auf den Marmortisch. »Du weißt genau, wie wichtig du mir bist. Wichtiger als alle Minister, Beamten und Gäste an meinem Hof. Aber ich muss auf der Hut sein, darf keinen meiner Höflinge vor den Kopf stoßen. Und gerade die engen Parteigänger meines Ersten Ministers Graf Plettenberg zählen genau und rechnen nach, wie oft sie zu einer Jagdpartie geladen werden.« »Aber ich will verflucht sein, wenn …« Johann wischte sich über die Stirn, sog den Atem durch die gespannten Lippen. »Verzeiht, mein Fürst. Es liegt am Wein.«
»Entschuldige dich nicht.« Clemens strich einige Mal mit der Handfläche über den hölzernen Knauf der Armlehne. »Alle müssen sich in der Wortwahl vorsehen, nur du allein sollst so mit mir sprechen, wie dein Herz es befiehlt.«
Hinter dem Vorhang zuckte der Zwerg zusammen. Ein leichtes Rascheln ließ ihn herumfahren und nach dem Dolch greifen. Kaum hatte er den Kammerdiener über sich im Halbdunkel erkannt, schüttelte er den Kopf und schob ihn zurück in den Audienzsaal. »Verdammt, Molitor«, zischte er. »Soll mich deinetwegen der Schlag treffen?«
»Schon gut, Buckel.« Der hagere Mann beugte sich zu ihm. »Wollte nur wissen – bleibt Freiherr von Roll? Benötigen sie noch Wein?« »Sieht nicht danach aus. Unsere Durchlaucht ist müde. Könnte mir aber vorstellen, dass der Abend in Brühl morgen länger wird. So eine Mainacht …«
Im Vorzimmer wurden die Stimmen lauter. Hart stieß Albert dem Diener in die Seite. »Zurück auf deinen Stuhl!« Und huschte selbst gleich wieder zum Vorhangspalt. Die Männer hatten sich erhoben. Ein ungleiches Paar. Der Fürstbischof, schlank und hochgewachsen, trotz der zweiunddreißig Jahre noch jugendlich biegsam in der Bewegung, die Locken seiner dunklen Perücke lagen weich auf den Schultern. Der siebzehn Jahre ältere Freund und Komtur des Deutschen Ordens war kleiner und gedrungen, seine Gesten entschieden und das Haar kurz und schon angegraut.
Clemens streckte die Hand aus. Ehe von Roll sie ergreifen konnte, strich ihm der Fürst den Arm, tastete nach den Muskeln, streifte leicht den Hals. »Gute Nacht. Ich danke Gott, dass wir uns im letzten Jahr begegnet sind. Einen Freund zu haben, ist ein Geschenk. Mein Vertrauen, meine Zuneigung aber gehen noch darüber hinaus …« Er senkte die Stimme. »Du darfst mich festhalten. Bitte!«
»Liebster Clemens.« Johann schloss die Arme um ihn und der Fürst senkte das Gesicht, für einen Moment berührten sich die Wangen. »Gute Nacht.« Der Augenblick war vorüber, das Versteck der Sehnsucht wieder geschlossen. Sie lösten sich, sahen einander an, dann wandte sich Komtur von Roll zum Ausgang.
Schon wollte sich der Zwerg von seinem Beobachtungsposten zurückziehen, als Clemens den Freund aufhielt. »Ach, einen … nein zwei Gefallen noch. Bitte! Ich werde morgen gleich in der Frühe aufbrechen. Allein. Ihr Herren aber werdet vor dem Jagdvergnügen noch eine Pflicht erfüllen müssen. «In die Augenwinkel stahl sich jungenhafte Schadenfreude.» Ihr werdet ohne mich an dem Requiem für die jüngst verstorbene Gräfin teilnehmen.« Von Roll hob die Hand, wollte protestieren, doch der Fürst kam ihm zuvor »Auch du, mein Freund. Wenn wir uns beide dieser lästigen Pflicht entziehen, schürt es die Eifersucht der Höflinge gegen dich nur unnötig weiter.«
Der Komtur zwang sich zu einem Lächeln. »Einer Laune füge ich mich nur ungern, aber wenn es Euer Wunsch ist, so soll er mir Befehl sein.« »Rede nicht so galant!« Clemens drohte ihm mit dem Finger. »Sonst glaube ich wirklich, dass du verärgert bist.« Von Roll dehnte die Brust. »Was ist die zweite Bitte?« »So spät am Sonntagabend will ich den Hofmarschall nicht mehr herumschicken. Gib du morgen den Befehl rechtzeitig in meinem Namen an die übrigen Herren weiter. Niemand soll es wagen, sich zu weigern. Ohne Requiem keine Jagd. Dies ist eine Maßnahme, den höfischen Übermut der Parteigänger meines Ersten Ministers einzudämmen.
Und du kannst mir dabei helfen.« Im Vorhangversteck spitzte Albert die Lippen. Ob das so klug ist?, dachte er. Da soll ein Freiherr einem Grafen sagen, was zu tun ist? Er zog sich zurück, huschte zur Wandnische des Kammerdieners. Dort verneigten sich beide, als Johann Baptist von Roll ohne einen Blick zur Seite an ihnen vorbeischritt. Einen Atemzug später schlug die kleine Glocke über ihnen an, und ehe sie verklungen war, eilten die Diener bereits ins Vorzimmer. »Bringt mich zu Bett!« Jeder kannte seine Aufgabe. Während Molitor den Fürsten vor den Spiegel geleitete, begann Albert die allabendliche Durchsuchung des Schlafgemachs. Er raffte die schweren Bettvorhänge zu den hölzernen Eckpfeilern und hob Kissen und Decken an. Er fiel auf die Knie, kroch um den hohen Kasten herum. Dann ein Blick hinter den Paravent. Kurz horchte Albert an der Seidentapete, ehe er mit einem Ruck die Geheimtür öffnete und in den schmalen Gang spähte. Zum Schluss noch sorgsam jede Fensternische. »Euer Durchlaucht …« Er trippelte auf Zehenspitzen bis zum zierlichen Tisch, auf dem Kämme und Bürsten und Scheren neben Onduliereisen und Puderdosen lagen.
»Die Inspektion ist abgeschlossen. Kein Unbefugter hat sich hereingeschlichen. Ihr werdet ungefährdet schlafen können.« »Danke, Spürhund.« Clemens wartete, bis der Kammerdiener ihm die Perücke abgenommen hatte. Dann betrachtete er den Zwerg, wie sich dieser immer noch auf Zehenspitzen hielt, und schmunzelte. »Ohne dich wäre ich sicher längst im Schlaf stranguliert oder erstochen worden. Du bist mein …« Er zögerte absichtlich, runzelte die hohe Stirn. »Bitte sagt es, Herr!« Nur mühevoll gelang es dem Buckligen, mit dem großen Kopf auf dem schmächtigen Leib, nicht zu schwanken. »Bitte!« »Tu es mon Albert le Grand.« »Merci.« Der Zwerg verneigte sich feierlich. Aus keinem anderen Munde klang sein Name so elegant. Selbst als Clemens anfänglich nur seinen Spottnamen »Der Bucklige« ins Französische übersetzt und ihn »Albert le Bossu« genannt hatte, war es für ihn schon ein Ehrentitel gewesen. Und dann war der Tag der verdorbenen Fischsuppe gekommen. Albert hatte vorgekostet und seinen Herrn rechtzeitig gewarnt. Dankbar wurde ihm von Clemens ein Silberstück überreicht. »Mon Albert le Grand.«
Nach kurzem Verwundern gab der Zwerg ihm die Münze zurück. »Stattdessen behalte ich den Namen. Wenn Ihr erlaubt, Herr.« Dabei war es geblieben. Albert war nicht der Hofnarr – diesen Posten hatte ein studierter Zwerg mit Doktortitel inne –, auch war er nicht der kleinwüchsige Krüppel für die Späße bei Gesellschaften.
»Ich bin mehr«, sagte sich Albert nicht ohne Stolz. Denn ausgerechnet ihn, den Niemand, den kurzbeinigen Buckel aus Köln, hatte der Fürstbischof hinauf zu sich, ganz in seine Nähe erhoben. Und Albert wachte über seinen Herrn bei allen Mahlzeiten und in den Privatgemächern, war aufmerksam, verschwiegen und liebte es, hin und wieder das »Albert le Grand« aus dem Mund des Herrn zu hören. Längst war Clemens August entkleidet. Im knielangen Nachtgewand saß er vor dem Frisiertisch. Seine Perücke lüftete auf der Drahtkugel und Molitor löste die Spangen aus dem Kopfhaar, kämmte die verschwitzten Strähnen und scheitelte sie. »Wie scheußlich«, seufzte Clemens. »Warum nur konnte ich meine Locken nicht behalten? Bis weit über den Rücken fielen sie. Du kennst sie noch. Sag es!«
»Sie waren wirklich eine Pracht, Euer Gnaden.« »Das will ich meinen. Und dann musste ich diese stolze Schönheit der Bischofswürde opfern. Abgeschnitten. Habt ihr beide eine Vorstellung, wie schrecklich es ist, wenn kraftvolles langes Haar einer Schere zum Opfer fällt?« Die allabendliche Klage. Und wie stets schüttelten die Diener nachfühlend den Kopf. Clemens erhob sich. Auf sein Schnippen hinüber zum Paravent brachte Molitor den mit kämpfenden Hirschen bemalten Porzellantopf. Der Fürstbischof schürzte selbst das Hemd bis hoch zum Nabel, und während sein Diener ihm das Geschirr, an beiden Henkeln gefasst, an die Mitte hielt, erkundigte er sich: »Hast du die blaue Kluft für morgen bereitgehängt?« Der volle Strahl tönte ins Porzellan. »Wir beizen den Reiher …« Clemens senkte den Blick und schrie im selben Moment auf. »Da! O mein Gott!« Ohne das Wasserlassen zu unterbrechen, wandte er sich zur Seite. Urin spritzte in Richtung des Zwerges.
»Ich verblute! Sieh doch!« Er lenkte den Strahl wieder ins Gefäß. Albert sprang hinzu. Auch Molitor beugte sich über den Topf, seine Hände zitterten. Dunkelrot strömte der Saft, schäumte im rötlichen See. Clemens rang nach Atem. »Gift. Es hat schon die Eingeweide zerfressen.« Sein Gesicht war erblasst. »Ein Anschlag. Nun ist es den heimlichen Feinden doch gelungen.« Der Strahl ebbte ab, vertropfte. Reglos starrte der Fürst nach unten. »Großer Gott.« Seine Stimme sank ins Düstere. »Ich werde ausbluten.« Albert hob die Hand. »Wenn Ihr erlaubt, Euer Gnaden.« Er wartete nicht ab, tauchte einen Finger ins warme Nass, roch daran, leckte schließlich und schmeckte nach. Einen Moment lang wiegte er den Kopf, dann sah er zu seinem Herrn auf. »Es ist kein Blut, Durchlaucht.«
»Du willst mich nur schonen.« »Verzeiht. Ich bin mir ganz sicher.« Die verkrallten Hände lösten sich und das Hemd sank, verhüllte die Blöße. »Aber was … Warum?« Albert wagte ein zuversichtliches Lächeln. »Die Mahlzeit heute Mittag. Zum Rebhuhn gab es ein Gemüse aus der roten Rübe. Davon habt Ihr mit Genuss und herzhaft viel gegessen. Erinnert Euch!« Clemens rieb sich die Stirn, atmete aus. »Und du meinst …?« »Meine Nase und meine Zunge täuschen mich nicht. Die Färbung rührt daher.« Der Fürstbischof nickte. »Warne mich beim nächsten Mal vor. Auch ein Schreck kann der Gesundheit Schaden zufügen.« Damit stieg er ins Bett und sank mit tiefem Seufzer in die Kissen.